




Gazette Neue Musik in NRW - Ausgabe Juni 2025
Gewesen: Wittener Tage für neue Kammermusik – Festival Achtbrücken in Köln
Angekündigt: Ritual, Brückenmusik und romanischer Sommer in Köln – neue Opern in Köln, Wuppertal und Bonn – Moers Festival, Blaues Rauschen und Park Sounds u.v.a.m.
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[Wittener Tage für neue Kammermusik]
Die Zukunft war früher auch besser. Das wusste bereits Karl Valentin. Der 'unbedingte Zukunftsglaube' der 'heroischen Generation von Neutönern nach dem zweiten Weltkrieg' kann laut Patrick Hahn, künstlerischer Leiter der Wittener Tage für neue Kammermusik, heute eher befremden und tatsächlich: Bereits Erreichtes bröckelt mit vor kurzem noch nicht vorstellbarer Geschwindigkeit, vom Morgen ist nichts Gutes zu erwarten. Für Zukunftsoptimismus scheint da kein Platz zu sein. Wer mit der Gnade der frühen Geburt gesegnet ist, kann sich mit Beschwörungen der guten, alten Zeit über Wasser halten, die Generationen Y und Z müssen sich etwas anderes einfallen lassen. Das haben Lucia Kilger, Friederike Scheunchen und Clemens K. Thomas als Leitende des Ensemble Scope getan: Für das intermediale Eröffnungskonzert mit dem Ensemble Musikfabrik widmen sie sich dem Thema Filter, indem sie diese allgegenwärtigen, von unsichtbarer Hand gesteuerten Algorithmen, die uns in selbstgenügsame Blasen bannen, den letzten Anflug von Authentizität zerstören und mutmaßlich den Untergang des Abendlandes herbeiführen, als kreatives Tool verwenden. Das Ergebnis ist ein durchkomponiertes Konzert mit Musik, Video, Licht, Tanz und Performance, in dem die Grenzen zwischen den Medien und den Werken gleichermaßen verschwimmen. Nach Alex Paxtons kunterbunter Musikcollage (mit etwas albernen Gesangseinlagen) zu einer ebenso kunterbunten Videocollage von Ben Giles (Scrunchy Touch Sweetly to Fall) materialisiert sich die Performerin Ria Rehfuss wie ein Alien zu geheimnisvoll brodelnder, unterschwellig pulsierender Musik von Lucia Kilger (shavryon). Clemens K. Thomas' Auseinandersetzung mit Gewaltvideos im Netz (Take Me to Funkytown) wirkt etwas unbeholfen, soll aber auch seine Überforderung und Ohnmacht widerspiegeln. Anschließend verwandelt Jessie Marino in No Salt Bartóks Violinduo Nr. 23 in einen enervierenden, sich zuspitzenden Klangstrom, zu dem Rehfuss als weiß gewandete Gestalt, halb Braut, halb gefallener Engel, eine Pfauenfeder balanciert. Zum Abschluss kredenzt Nicolas Berge mit Terminally Online Aliens eine trashige, wild zusammengewürfelte Video- und Musikmixtur. Rein musikalisch hielt sich der Mehrwert des Ganzen in überschaubaren Grenzen (was besonders bewusst wird, wenn man sich mit dem WDR Konzertplayer nur der Tonspur widmet), als Gesamterlebnis hatte es aber durchaus Unterhaltungswert und nebenbei habe ich als von Katzen- und Foltervideos weitgehend Unbeleckte einen kleinen Einblick bekommen, was heutzutage auf den gewöhnlichen Internetnutzer so alles einprasselt.
Mit Grenzüberschreitungen ganz anderer Art befasst sich das Trickster Orchestra, das unter der Leitung von Cymin Samawatie und Ketan Bhatti neben dem herkömmlichen europäischen Instrumentarium auch die chinesische Sheng (Mundorgel), die japanische Koto und den albanischen Kanun (Kastenzither) versammelt. Damit wird die Musik nicht neu erfunden, aber man muss auch keine folkloristisch aufgeladenen Beliebigkeiten à la Weltmusik befürchten. Filigrane, tastende Momente, langsame Steigerungswogen und dichte, expressiv-energetische Phasen wechseln einander ab und lassen ungewöhnliche, reizvolle Klangverbindungen entstehen. In Samawaties Revamp z.B. begegnen sich Koto und Paetzold Blockflöten, Bhattis Dance for Nerds ist von kantigen Rhythmen geprägt und in George Lewis Nomads gibt Wu Wei ein fulminantes Solo auf der Sheng zum Besten. Leider trübte zum Abschluss Ondřej Adámek als Zauberrezepturen raunender und Blumen streuender Zeremonienmeister mit seinem gedanklich überladenen und musikalisch dürftigen Stück Power of Flowers meinen Gesamteindruck. Gemeinsam mit dem Trickster Orchestra konnte Lewis übrigens den Liminal Music Prize entgegennehmen, mit dem der WDR bereits zum zweiten Mal die Überschreitung traditioneller und kultureller Grenzen auszeichnet.
Die diesjährige Portätkomponistin Cassandra Miller scheint die von der Neuen Musik einst gesteckten Grenzen weniger zu überschreiten als gar nicht erst zur Kenntnis zu nehmen. Die gebürtige Kanadierin hat in ihrem Heimatland und in den Niederlanden studiert, lebt heute in London und geht mit einer erfrischenden Unbedarftheit ans Werk. Ob Vogelgezwitscher, Fiddlemusic oder Beethovenmotive, alles was sie unmittelbar anspricht und berührt, dient ihr als Inspirationsquelle. Ihr Umgang damit ist intuitiv, das Material wird nicht entwickelt sondern kreist um sich selbst. Im Rahmen eines Gesprächskonzerts bringen das Quatuor Bozzini und die Sopranistin Juliet Fraser kammermusikalische Werke zu Gehör und in diesem kleinen Format funktioniert Millers Herangehensweise besser als gedacht. Die Musik entwickelt einen melancholischen Sog und strahlt auch dann noch einen eigenwilligen Reiz aus, wenn sie haarscharf an der Sentimentalitätskante vorbeischrammt. Als problematischer erweisen sich die bzgl. Dauer und Besetzung größeren Formate: In ihrem neuen Werk The Years für Vokalsextett (Exaudi) und Streichtrio verliert sich zwischen auf- und abschwellenden Gesangswogen, Instrumental- und Sprechpassagen der rote Faden und die deutsche Erstaufführung von Bismillah meets the Creator in Springtime, bei dem Miller und die Geigerin Silvia Tarozzi als Solistinnen den im Raum verteilten, etwas desorientiert wirkenden Mitgliedern des WDR Sinfonieorchesters gegenüberstehen, läuft gänzlich aus dem Ruder. Das in Teilen improvisierte Werk, in das „sicherheitshalber ein bisschen Bach“ eingeflossen ist, entwickelt sich zum schamanistischen Erweckungsritual, das zwischen Tröten und Quäken von Miller mit einer Art Urschrei gekrönt wird. Vorausgegangen waren in dem Orchesterkonzert unter der Leitung von Elena Schwarz zwei konventionelle Werke, die mich ebenfalls nicht völlig überzeugt haben. Lisa Illeans An acre ringing, still verliert sich allzu sehr in romantischen Gefilden. In Malika Kishinos Quinta Materia lässt zunächst der Cellist Nicolas Altstaedt aufhorchen, der mit kräftigem Strich Akzente setzt, doch letztlich bleibt es bei solider Orchesterarbeit.
Bei aller Sympathie für neue Wege, was Sara Glojnarics Songs for the end of the world in einem Festival für neue Kammermusik verloren haben, hat sich mir nicht erschlossen. Das sogenannte Kopfhörerkonzert befasst sich mit dem Unglück der Titanic, wobei vor allem die Frage umkreist wird, ob bzw. was die Bordkapelle beim Untergang gespielt hat. Sarah Maria Sun macht als Moderatorin und Sängerin das Beste daraus, aber Anekdoten, O-Töne von Überlebenden und vom Kuss Quartett live gespielte, teils elektronisch aufgemotzte Musikeinlagen sind so unambitioniert aneinandergereiht, dass das Ganze sogar als Hörspiel oder Podcast durchfällt. Das einzig Interessante sind die Reaktionen der Zuhörenden, die wie die Musizierenden aufgefordert werden, sich vorzustellen, was zum Zeitpunkt des eigenen Todes erklingen soll. Das Publikum geht voll mit und ist schließlich so aufgeweicht, dass bei der abschließenden Oberschnulze My Heart will go on vereinzelt sogar Tränen der Rührung aufblitzen. Das habe ich in Witten noch nicht gesehen und führt direkt zum nächsten Thema.
Seit Jahrzehnten bekommen wir – ob im Konzert, in der Politik oder in der Psychotherapie – gebetsmühlenartig zu hören, dass wir mehr auf unsere Gefühle achten sollen, gerade der Neuen Musik wurde ihre Verkopftheit immer wieder zum Vorwurf gemacht, doch inzwischen ist dieses Mantra längst zum Bumerang geworden. Denn allzu oft und oftmals geschickter als einem lieb ist werden die Gefühle von den Falschen bedient, so dass die eigentliche Gretchenfrage heute lautet: Wie hast du’s mit der Rationalität? Mit diesem Dilemma befasst sich in gewohnt ironischer Manier (inklusive einer ordentlichen Portion klamaukiger Selbstdarstellung) Johannes Kreidler, der mit seinem 'physikalischen Expressionismus' Gefühle – im konkreten Fall Seufzer – sammelt und wie ein Insektenforscher aufspießt und zur Schau stellt. Im Märkischen Museum türmen sich in schwarze Blöcke gefräste Seufzerschallwellen zu einer Klagemauer, den Seufzern wird der rote Teppich ausgerollt, Murmeln murmeln und Grübelmaschinen grübeln. Mit Giordano Bruno do Nascimento hat sich Kreidler zudem einen ausgewiesenen Death Metal-Experten an die Seite geholt, der sich hervorragend aufs Growling versteht und mit dieser Technik – statt wie sein Namensvetter selbst auf dem Scheiterhaufen zu landen – die Mitglieder einer gesichert rechtsextremen Partei stimmlich in die Hölle schickt. Vom Laubbläser beflügelt läuft Nascimento zu Hochform auf, auch das Publikum darf sich seufzend und mit Glissandoflöten bewaffnet beteiligen und so entsteht ein überbordendes Tohuwabohu, das im Konzertmarathon für willkommene Auflockerung sorgte.
An die heroische Generation der Neutöner knüpft Ming Tsao mit seiner Bearbeitung von Karlheinz Stockhausens Plus-Minus an, einer offenen Partitur, die dem Ausführenden viel Freiheit bei der Umsetzung bietet. Ming Tsaos Version für zwei Klaviere arbeitet mit elektronischen Transducern, die den Korpus zum Vibrieren bringen und für Rückkopplungsschleifen sorgen. Unter den Händen des GrauSchumacher Piano Duos entsteht daraus mit gewohnter Virtuosität ein vielschichtiger, in sich differenzierter Klangstrom, in den man sich gut versenken kann, der mich aber nicht über die Dauer von fast einer Stunde bei der Stange gehalten hat.
Insgesamt bot der 57. Wittener Jahrgang eine nicht immer glücklich machende aber immerhin abwechslungsreiche Mischung, die viel Diskussionsstoff bereithielt. Was die Zukunft anbelangt, so hat Hahn für die seine gesorgt: Nach nur drei Jahren beim WDR wechselt er zum Ensemble Intercontemporain. Beim WDR müssen die Karten neu gemischt werden, wollen wir hoffen, dass sie im Spiel bleiben.
[Achtbrücken]
Die Zukunft von Achtbrücken sieht weniger rosig aus. Nachdem die Stadt Köln ihre Zuschüsse komplett gestrichen hat, steht das Festival vor dem Aus. Die 15. Ausgabe bot aber noch einmal zehn Tage voller Musik und ich gestehe, dass ich es nach dem durchwachsenen Wittener Programm sehr genossen habe, Neue Musik in Reinform zu hören – wie in der guten alten Zeit. Selbst die sonst so experimentierfreudige Kölner Szene präsentierte sich diesmal rein instrumental mit dem Ensemble DEHIO (u.a. mit im selben Augenblick, einem sehr schönen Stück von Farzia Fallah), dem Duo Hoitenga/Herbst und dem Asasello Quartett, das mit Kaija Saariahos Nymphéa für Streichquartett und Elektronik und George Crumbs Black Angels für elektrisch verstärktes Streichquartett gleich am Eröffnungstag die Wolkenburg zum Glühen brachte. In der Philharmonie gaben sich die Spitzenorchester die Klinke in die Hand, wobei besonders das Pariser Ensemble Intercontemporaine herausragte. Die Interpretation von sur Incises ihres Gründers Pierre Boulez, der 2025 100 Jahre alt geworden wäre, entfachte einen wahren Klangrausch und war gleichzeitig so präzise, dass ich aus dem Staunen nicht herauskam. Mit Kaajha Saariahos Lichtbogen demonstrierte das Ensemble, was es mit der Lichtmetapher auf sich hat, die dem Festival diesmal als Motto diente. Zu dem Werk, das mit Computerhilfe entstanden ist und mit Live-Elektronik arbeitet, ließ sich Saariaho von Polarlichtern inspirieren und tatsächlich: Die Musik scheint zu flirren und zu funkeln, versteigt sich in grelle Höhen und schillert diffus. Der finnischen Komponistin, die 2023 in ihrer Wahlheimat Paris verstarb, war ein besonderer Schwerpunkt gewidmet; nicht weniger als 14 Werke kamen zur Aufführung, darunter ihr Violinkonzert Graal théâtre mit Carolin Widmann und dem SWR Symphonieorchester sowie ihr Klarinettenkonzert D’om le vrai sens mit dem WDR Sinfonieorchester. Zu diesem lies sich Saariaho von mittelalterlichen Teppichen inspirieren, auf denen eine Frau und ein Einhorn dargestellt sind, und so darf die Klarinettistin Boglárka Pecze als Einhorn durch die Ränge der Philharmonie wandern und die anderen Instrumente in ihren Bann ziehen. Saariaho schreibt klangschöne, sinnliche Musik und wurde nicht umsonst vielfach ausgezeichnet, aber letztlich bietet sie keine Überraschungen, bleibt in den Gefilden des gut Anzuhörenden, wirkungsvoll Gesetzten, das niemandem weh tut. Die 'Überdosis', die in Köln serviert wurde, machte dies deutlich. Das sich nicht nur Spitzenensembles auf ihr Werk verstehen, zeigte das Konzert mit dem Orchester der Hochschule für Musik und Tanz, das wie vier weitere Veranstaltungen im Rahmen des sogenannten Freihafens bei freiem Eintritt besucht werden konnte. Neben Saariahos Lumière et pesanteur brachten die jungen Leute unter der Leitung von Alexander Rumpf zwei gelungene neue Werke von Mitstudierenden zur Aufführung: Alex Hren arbeitet in Switch On mit Hell-Dunkel-Kontrasten, bei denen hohe quirlig-nervöse Strukturen auf markante Bläser- und Paukenattacken treffen. Aline Sarah Müller widmet sich in Horizon & Heartbeats mehr dem Dazwischen, das von rhythmisch grundierten Perkussions- und zarten Streichergesten geprägt ist.
Leider waren nicht alle Uraufführungen eine Ohrenweide. In Hèctor Parras Ich ersehne die Alpen / So entstehen die Seen, das im Konzert mit dem WDR Sinfonieorchester zu Gehör kam, stimmte leider gar nichts. Verhandelt wird der Klimawandel anhand von Texten des österreichischen Autors Händl Klaus. Während der weibliche Part (Sopran Lavinia Dames) in einer überhitzten Dachstube schmort und die Alpen herbeisehnt, ist das männliche Pendant (Sprecher Thomas Loibl) eben dort unterwegs, wobei er auf auftauende Gletscherleichen stößt ('Uppsala, ja höpperladada!'), mit denen er in einen unendlich in die Länge gezogenen, leutselig-verquasten Dialog tritt. Dazu erklingt eine Musik, sie sich ohne die geringsten Raffinessen im Dauerpathos ergeht, so dass das Werk trotz der guten Interpreten mit Pauken und Trompeten untergeht. Händl Klaus verfasste auch das Libretto für Innen / Sisällä von Vito Žuraj, das mit dem Helsinki Chamber Choir und dem Ensemble Recherche seine deutsche Erstaufführung erlebte. Text und Musik befassen sich mit dem Zusammenhang von körperlichen Einschränkungen und Kreativität, wobei sowohl auf Künstler wie Beethoven und Monet als auch auf Žurajs eigenes Stottern in seiner Kindheit Bezug genommen wird. Dies geschieht jedoch auf subtile Weise. Das Publikum erlebt einen vielschichtigen Entwicklungsprozess, der durch Positionswechsel des Chors angezeigt wird. Auf einen von dichtem, bedrängendem Stimmengewirr geprägten Auftakt folgen turbulente, sich zuspitzende Passagen sowie fragile, differenziert instrumentierte, die Verletzlichkeit zum Ausdruck bringen.
Eine besondere Zusammenarbeit gab es in diesem Jahr mit dem Stadtgarten und NICA, ein Förderprogramm für Musiker und Musikerinnen im Bereich aktuelle Musik und Jazz. Vier NICA-Artists wurden beauftragt, Musik zu Stummfilmen zu komponieren, und der Auftakt war vielversprechend. Thomas Sauberborn begleitet Dsiga Wertows Man with a Movie Camera, das uns nach Kiew, Charkiw und Odessa im Jahr 1929 entführt, mit einer sehr abwechslungsreichen, eigenständigen Musik: Lässige Posaunenlinien über rhythmischem Grund, schillernde Klangflächen und treibende, jazzig Passagen ergänzt durch Live-Samplings und kurze Texteinlagen fügen sich in den Sog der Bilder, ohne diese illustrativ zu doppeln. Weniger überzeugt hat mich Jonas Engels' Tonspur zu Urban Gads Afgrunden. Sie gibt der exaltierten, sich förmlich überschlagenden Stimme von Marcella Lucatelli viel Raum, was aber weder dem Film gerecht wird noch musikalisch funktioniert.
Den Abschluss des Festivals gestalteten das Ensemble Modern und das SWR Vokalensemble. In Yiran Zhaos The unreachable shore begegnet uns noch einmal das Gletschereis, von dem sich die Komponistin inspirieren ließ, und gleich zum Auftakt hören wir ein zartes Knacken, Klirren und Rieseln. Doch in dem sehr klangsinnlichen Werk, das sich mit Grenzüberschreitungen und Perspektivwechsel befasst, sorgen insbesondere die Bläser mit teils schrillem, sich zuspitzendem, überschlagendem Ton für sehr energiegeladene Passagen. Mit einem ganz anderen Naturphänomen und zwar der Biolumineszenz befasst sich der baskische Komponist Unai Urkola Etxabe in seinem neuen Werk what shines beneath. Seine ebenfalls sehr sinnliche, haptische Musik nimmt das Publikum mit auf eine Reise durch ein Unterwasserwelt, die von geheimnisvoll leuchtenden Wesen belebt ist. Auch Christian Masons The Oddity Effect für Ensemble und Chor taucht ein in die Weiten des Meeres, indem er sich dem Schwarmverhalten von Fischen widmet, landet aber brutal im Hier und Jetzt. Nach einem lyrischen Beginn führt der Text von Paul Griffiths in die Verwerfungen unserer politischen Gegenwart, indem er scheinbar wahllos gesammelte, alltägliche Schlagzeilen auflistet, die der Chor (auf Deutsch aber trotzdem schwer verständlich) hastig hervorgestoßen, teils mit Megaphonen bewaffnet dem Publikum entgegenschleudert. Die Frage nach Zugehörigkeit und Andersartigkeit (oddity) gibt es nicht nur bei Fischen und offenbar haben wir Menschen mehr als diese mit einer zunehmenden Schwarmdummheit zu kämpfen (die aber immerhin ausreicht, um die Meere leer zu fischen!).
10 Tage voller Musik, ich habe längst nicht alles gehört, nicht alles Gehörte hier aufgegriffen und dieses nur angetippt. Auf die Premiere von Saariahos Oper La Passion de Simone im Staatenhaus werde ich in der nächsten Gazette eingehen.
Köln wird auch weiterhin eine Hochburg der Musik bleiben, aber Achtbrücken wird fehlen. Es steht zu hoffen, dass sich die Kräfte bündeln (und die nötige Unterstützung erhalten), um eine Nachfolgeaktion auf die Beine zu stellen.
[Termine im Juni]
Köln
Am 1.6. startet eine neue Konzertreihe, die sich bis November jeweils am 1. eines Monats dem Thema Ritual widmet, und im Rahmen der Brückenmusik wird vom 18. bis 29.6. das Innere der Deutzer Brücke mit Koumé von Éliane Radigue bespielt. Beim romanischen Sommer kommen Werke von Stockhausen, Giorgio Netti und Sven-Ingo Koch sowie im Rahmen eines Konzerts in der Kunststation Sankt Peter mit dem Ensemble Tra i Tempi ein neues Stück von Michael Veltman zur Aufführung. In der Kunststation finden außerdem an jedem Samstag im Juni Lunchkonzerte statt (am 21.6. mit dem Trio Abstrakt).
In der Philharmonie stehen der Cellist Abel Selaocoe und das Ensemble Resonanz am 15.6., die Organistin Iveta Apkalna und das Alinde Quartett am 17.6., die Musikfabrik am 23.6. und Musik von Unsuk Chin am 29.6. auf dem Programm. Die Hochschule für Musik und Tanz kündigt neue Musik mit Studierenden der Klasse Blumenthal am 17.6., ein Konzert des Instituts für Neue Musik am 24.6., ein Programm rund um Hans-Werner Henze ebenfalls am 24.6., die Reihe 'Adventure' mit der Musikfabrik am 27.6. und moderne Klaviermusik am 29.6. an. In der Alten Feuerwache erwarten uns ein Bild-Ton-Projekt zum Thema 'Heimat' am 25.6. und MAM, die Manufaktur für aktuelle Musik, am 29.6.. Im Stadtgarten stehen NICA-Artists am 5.6. und 11.6. und das Ensemble Garage am 21.6. auf der Bühne, die Plattform nicht dokumentierbarer Ereignisse präsentiert am 1. und 24.6. Konzerte, am 4.6. erwartet uns im o-ton ein 'Experimental Guitar Evening', in der Kunsthochschule für Medien sind im Rahmen der Reihe 'soundings' Pierre Berthet und Rie Nakajima am 5.6. sowie Tintin Patrone am 26.6. zu Gast, das Asasello Quartett startet seine Jubiläums-Konzertreihe 'Wir und die schöne neue Welt von Gestern' mit einem Streichquartett von Márton Illés am 6.6. und einer Zusammenarbeit mit Wladimir Kaminer am 13.6., das Japanische Kulturinstitut schlägt am 12.6. eine Brücke zwischen fernöstlicher und westlicher Musik, im Rahmen der WDR-Reihe 'Musik der Zeit' wird am 21.6. ein neues Werk von Chaya Czernowin aus der Taufe gehoben, das Part-Ensemble präsentiert am 14.6. 'Bach aktuell' und das Ensemble Consord transferiert am 28.6. im artheater mit ignorance is strength dystopisch inspirierte Rock- und Popmusik in die eigene Klangwelt. Im Staatenhaus kommt am 27.6. Philippe Manourys Oper Die Letzten Tage der Menschheit nach Karl Kraus zur Uraufführung, auf die man sich bei einer öffentlichen Probe am 20.6. und einem Komponistenporträt am 22.6. einstimmen kann.
Einblicke in die freie Szene bekommt man bei ON Cologne und Noies, der Zeitung für neue und experimentelle Musik in NRW, jeden 2. und 4. Dienstag im Monat sendet FUNKT ein Radioformat mit Elektronik und Klangkunst aus Köln, jeden 1. und 3. Mittwoch im Monat wird der Ebertplatz von der Reihe Bruitkasten bespielt und am letzten Mittwoch im Monat erwartet uns die Soirée Sonique im LTK4. Fast täglich gibt es interessante Konzerte im Loft (z.B. das Helix-Festival vom 3. bis 7.6., das sich mit soghaften Tempoströmen und rhythmischen Spiralen befasst), weitere Termine und Infos finden sich bei kgnm, Musik in Köln und impakt, sowie Veranstaltungen mit Jazz und improvisierter Musik bei Jazzstadt Köln.
Ruhrgebiet
Noch bis zum 7.6. findet an verschiedenen Orten des Ruhrgebiets das Festival Blaues Rauschen statt, das elektronische Musik und Klangkomposition, Licht- und Videokunst, Tanz und Performances verbindet.
Die Bochumer Tage für Neue Musik in der Melanchthonkirche stehen mit Veranstaltungen am 4., 9. und 15.6. sowie einem Orgelkonzert am 22.6. unter dem Titel Hommage á Eric Alfred Leslie Satie und in der Christ-König-Kirche kommt am 7. und 8.6. rEVOLUTION, ein Musiktheater from outer space von Interstellar 227, zur Aufführung.
Im Dortmunder domicil erwarten uns das Blaue Rauschen am 6.6. und SongofMu und The Dorf am 12.6., die Soundtrips NRW machen am 3.6. in der Parzelle Station und bei mex im Künsterhaus sind am 25.6. Antez, Elisa Metz und Bromp Trep zu Gast. In der Oper kommt am 22. und 23.6. Who Cares?, eine Bürger*innenOper von Marc L. Vogler, zur Aufführung.
Der Steinbruch in Duisburg präsentiert am 4.6. das Quartett Haustein/Klare/Jäckel/Blamberg, im Lokal Harmonie stehen The Songs of Harvey Pekar von Scott Fields am 6.6. und eine audiovisuellen Performance mit Rajesh Mehta, Marius Luczynski und Sven Sander am 20.6. auf dem Programm und im earport wird am 29.6. eine neue Ausstellung von Claudia Maas mit einem Performancekonzert eröffnet.
Rund um die Philharmonie Essen sind vom 9. bis 13.6. wieder die Park Sounds zu erleben. In der Folkwang Hochschule wird die Reihe Ex Machina am 5.6. (mit Trevor Wishart) und 26.6. fortgesetzt und am 30.6. eröffnet das Trio Abstrakt die Folkwang Woche Neue Musik. Im Rabbit Hole Theater stehen die Soundtrips NRW am 2.6., MA.RA. & The New Solarism am 14.6. und eine audiovisuelle Reise mit Verena Hentschel am 20.6. auf dem Programm und in der Neue Musik Zentrale kann man sich am 10.6. im Rahmen der Reihe FRIM zum gemeinsamen Improvisieren treffen.
Im Makroscope in Mülheim an der Ruhr bringt Honey Bizarre am 27.6. das geheimnisvolle Theremin zum Erklingen.
Düsseldorf
Die Robert Schumann Hochschule präsentiert am 5.6. eine Lecture zu Boulez' Éclat und in der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste findet am 13.6. ein Werkstattkonzert zu Douze Notations von Boulez mit Schülern und Schülerinnen aus Marxloh statt. In der Tonhalle stehen am 7.6. das Signum Quartett mit neueren Werken und am 18.6. das Notabu Ensemble in der Reihe 'Na hör'n Sie mal' auf dem Programm. Abends ist das Signum Quartett übrigens noch im Rahmen einer Rock Lounge in der Destille zu Gast. The Songs of Harvey Pekar von Scott Fields kommen am 14.6. im FFT zur Aufführung. Die Kunsthalle bringt vor dem großen Umbau in der Reihe 'Im Kinosaal' Videoprojektionen u.a. von Gerhard Stäbler und Kunsu Shim (24. bis 29.6.) zur Aufführung und begleitend dazu spielt das Minguet Quartett am 25.6. u.a. eine Uraufführung von Stäbler. Vom 13.6. bis 5.7. veranstaltet der Klangraum 61 zum 12. Mal das Festival Klangräume mit einer Lecture mit Oskar Gottlieb Blarr, einer Klangexkursion im Kanal und Konzerten.
Sonstwo
Soundtrips NRW schickt vom 27.5. bis 5.6. Girilal Baars und Isabel Rößler durch NRW und lässt sie auf wechselnde Gäste treffen.
Die Aachener Gesellschaft für zeitgenössische Musik kündigt die Reihe 'Hören und Sprechen über Neue Musik' am 6.6., neue Musik aus Aachen und der Region am 14.6. und das Trio 'Der vierte Zustand' am 28.6. an und die Kölner HfMT präsentiert am 20.6. am Aachener Standort einen Neue-Musik-Abend.
Die Bielefelder Cooperativa Neue Musik veranstaltet monatlich einen Jour fixe und lädt am 1.6. (bei schönem Wetter) zum Finale im Park und in der Zionskirche erwarten uns ebenfalls am 1.6. das Ensemble Earquake und am 8.6. vier Konzerte mit improvisierter Musik.
The Songs of Harvey Pekar von Scott Fields kommen am 13.6. im Dialograum Kreuzung an Sankt Helena zur Aufführung, am Theater Bonn hat am 15.6. die Oper Musik für die Liebenden von Gija Kantscheli Premiere und am 18.6. eröffnen in der gkg Bonn die Klanginstallationen coin-cidence / humming von Nika Schmitt und Raul Keller.
In der Kunsthalle Hangelar im benachbarten St. Augustin begegnen sich am 29.6. Christina Fuchs und Florian Stadler.
Die Hochschule für Musik Detmold kündigt ein Konzert mit interaktiver Musik für Klavier und Live-Elektronik am 17.6., im Rahmen einer Ringvorlesung einen Vortrag über Teufelsdarstellungen in der Oper des 21. Jahrhunderts am 18.6. und ein Konzert mit dem Ensemble Earquake am 22.6. an.
Composer in Residence beim Festival Spannungen vom 15.6. bis 22.6. im Kraftwerk Heimbach ist in diesem Jahr Donghoon Shin. Neben seiner Musik erklingen auch Werke von Kurtág, Tenney, Xenakis und Berio.
Das Inselfestival auf der Museumsinsel Hombroich bringt zwar nicht mehr so viel neue Musik wie früher, aber einige zeitgenössische Klange z.B. von Georg Kröll, Rolf Riehm, Meredith Monk oder Bahar Royaee (UA) sind doch dabei.
Vom 6. bis 9.8. findet wieder das Moers Festival statt. Im Rahmen einer Kooperation mit dem Huddersfield Festival erwarten uns Uraufführungen von Maya Dunietz und Koshiro Hino sowie unter der Programmschiene hcmf sogenannte 'X perimental N counters'.
Aktueller Improviser in Residence in Moers ist übrigens Bart Maris, der über das Festival hinaus am 14. und 20.6. in Aktion zu erleben ist.
Die Flötistin Pia Marei Hauser gestaltet am 4.6. im LWL-Museum für Kunst und Kultur in Münster ein Wandelkonzert, in der Black Box erwarten uns die Soundtrips NRW am 1.6., das Trio SongofMu am 14.6. und die Performance Sounds and Feathers am 22.6. und das Ensemble Consord liefert am 15.6. am Hawerkamp 31 mit ignorance is strength Musik für den Untergang.
Vom 29. Juni bis zum 20. Juli kann die Klanginstallation Cantico von Lukas Schäfer und Luis Weiß in der Autobahnkapelle St. Raphael Nievenheim besucht werden.
Im Lichtturm in Solingen wird das Publikum am 15.6. im Rahmen der interaktiven Installation Cheercamp zu einer Endorphin-ausschüttenden Partizipation animiert.
Im Wuppertaler ort stehen ein Porträt des ukrainischen Nationaldichters Taras Schewtschenko am 1.6. und The Songs of Harvey Pekar von Scott Fields am 7.6. auf dem Programm, am 3.6. erklingt im Ableger der Kölner HfMT Klaviermusik des 20. Jahrhunderts und am 20.6. hat die Kammeroper Thumbprint von Kamala Sankaram Premiere, die sich mit der Geschichte der pakistanischen Frauenrechtsaktivistin Mukhtar Mai befasst.
Weitere Termine mit improvisierter Musik finden sich bei NRWJazz.
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